Die Zauberpalme

Ein Märchen aus Ghana

Palme

Es war einmal eine Frau, die kinderlos geblieben war.  Sie ging zu einer besonderen Palme, die im Wasser stand und fragte sie um Rat, wie sie ein Kind bekommen könne. Die Palme sagte: "Ich gebe dir, was du dir wünschst, aber das Kind, das ich dir schenken werde, darf niemals etwas an mir tun." Die Frau war damit einverstanden.

Es vergingen zwei oder drei Tage, da empfing sie und gebar. Der Junge brauchte nicht lange, um aufzuwachsen. Er war sofort erwachsen. Und seine Mutter erklärte ihm: "Von allen Tabus des Stammes brauchst du keines zu beachten außer das der Palme. Du darfst nie auf eine Palme klettern." Er sagte: "Mutter, ich werde es befolgen."

 

 Eines Tages verließ ihn die Mutter und ging aufs Feld. Er rief seine Liebste, und die beiden begannen miteinander zu spielen. Er verfing sich in ihren Lendenperlen, und sie zerrissen und fielen herab.  Das Mädchen befahl ihm: "Diese Perlenschnur, die du zerrissen hast! Geh und hol mir ein paar Palmfasern, damit ich sie wieder auffädeln kann." Der Junge kaufte ein paar und kam zurück.

Das Mädchen sagte: "Die will ich nicht, ich will nur die Fasern von der Palme, die im Wasser steht." Der Junge ging sie suchen.

 

Als er so ging, sah er eine Palme, die mitten im Wasser stand. Er kletterte hinauf, bis er den Wipfel erreicht hatte. Er holte sein Messer hervor, und wie er die Palme berührte, spaltete sie sich in zwei Teile. Der Leib des Jungen glitt in den Spalt, und die Palme schloß sich wieder. Da war er nun, eingeklemmt in den Stamm und kam nicht wieder heraus.

 

Bald darauf kam seine Mutter vorbei. Als sie das Wasser erreichte, sah sie einen Schatten darüber liegen und sagte: "Wessen Schatten liegt da über dem Wasser, der aussieht wie der meines Kindes Akwasi Kwasaman?" Er rief: "Mutter, ich bin's." Sie fragte: "Warum hält dich die Palme gefangen?" Er sagte: "Ich ging Palmfasern holen für meine Liebste, und die Palme quetschte mich ein." Die Mutter sagte: "Du, Palme, quetsche ihn ein, quetsche ihn ein, quetsche ihn ein, mein Kind Kwasaman. Palme, quetsche ihn ein, quetsche ihn ein." Und die Mutter ging davon.

 

Dann kam auch der Vater und sagte: "Wessen Schatten liegt dort über dem Wasser, der aussieht  wie der meines Kindes Kwasaman?" "Ich bin's." "Warum quetscht dich die Palme ein?" "Ich ging Palmfasern holen für meine Liebste, und die Palme quetschte mich ein." Der Vater sagte: "Du, Palme, quetsche ihn ein, quetsche ihn ein, mein Kind Kwasaman. Palme, quetsche ihn ein, quetsche ihn ein."

 

Und der Vater ging heim und berichtete alles dem Dorfhäuptling, und der Häuptling rief alle Leute zusammen, und sie gingen an den Fuß der Palme, und der Häuptling rief mit lauter Stimme: "Wessen Schatten liegt dort über dem Wasser, der aussieht wie der meines Enkels Akwasi Kwasaman?" "Großvater, ich bin's." "Warum quetscht dich die Palme ein?" "Ich ging Palmfasern holen für meine Liebste, und die Palme quetschte mich ein." Der Häuptling sagte: "Du, Palme, quetsche ihn ein, quetsche ihn ein, quetsche ihn ein, meinen Enkel Kwasaman. Palme, quetsche ihn ein."

 

Und der Häuptling ging weg, und alle Dorfbewohner sangen das gleiche Lied und sagten der Palme, sie solle ihn einquetschen. Da kam seine Liebste und sagte: "Wessen Schatten liegt dort über dem Wasser, der aussieht wie der meines Liebsten Akwasi Kwasaman?" Er sagte: "Ich bin's, dein wahrer Liebster." "Warum quetscht dich die Palme ein?" "Ich wollte dir Palmfasern holen, und die Palme quetschte mich ein." Sie sagte: "Palme, lass ihn los, lass ihn los, lass ihn los. Palme, lass meinen Liebsten, Akwasi Kwasaman, los. Palme, lass ihn los, lass ihn los, lass ihn los."

 

Als sie so sprach, öffnete sich die Palme einen Spalt breit, und der Leib ihres Liebsten kam ein wenig frei. Da rief sie lauter: "Wessen Schatten liegt dort über dem Wasser wie der meines Liebsten Akwasi Kwasaman?" Er sagte: "Ich bin's, dein wahrer Liebster." "Warum quetscht dich die Palme ein?" "Ich ging Palmfasern holen für dich, und die Palme quetschte mich ein." Sie sagte: "Palme, lass ihn los, lass ihn los, lass ihn los. Palme, lass Akwasi Kwasaman, meinen Liebsten los. Palme, lass ihn los, lass ihn los."

 

Da kam ihr Liebster auf einmal frei, und er kam und hing am Busen seiner Liebsten, und sie zerschmolzen und verwandelten sich in Öl. Und die Menschen, die schnell herbeieilten und etwas Öl auf ihre Gesichter schmierten, sind diejenigen, die sehr schön sind. Aber diejenigen, die nichts abbekommen haben, sind die, die nicht schön aussehen. Diese meine Geschichte habe ich erzählt. Sei sie süß, sei sie nicht süß, bring sie woanders hin und lass auch etwas zurückkommen zu mir.