Meerkatze und Tigerhai

  Der Affe und der Fisch (c) gemeinfreiDer Baum wuchs auf einer Klippe am Meer. Er war riesig. Seine mächtige Krone warf zur Hälfte ihren Schatten über das Land und zur Hälfte über das Wasser. Dieser Baum war die Heimat eines kleinen Affen. Nur selten musste er den Baum verlassen. Hier fand er genügend süße Früchte, um seinen Hunger zu stillen. Sie waren so saftig, dass der kleine Affe auch seinen Durst stillen konnte. Das Leben war gut und ohne Aufregungen.

Eines Tages sah er im Meer unter seinem Baum einen riesigen Tigerhai seine Runden drehen. Und er sah, wie der Hai nach den Früchten schnappte, die herunter fielen und im Wasser schwammen. 

„Das habe ich noch nie gesehen: Ein Hai, der Früchte frisst. Was ist denn mit dem los?„ fragte sich der kleine Affe und warf eine Frucht direkt vor das Maul des Hais. Schwupp, schon hatte der Hai die Frucht gefressen, blinzelte nach oben und rief: „Danke, lieber Affe. Diese Früchte mag ich besonders gerne. Es fallen viel zu wenig ins Wasser.

Der kleine Affe amüsierte sich darüber, warf noch ein paar Früchte hinunter und lachte, als Hai versuchte, diese schon in der Luft zu fangen. Dieses Spiel machte beiden viel Spaß – und so ging das nun jeden Tag. Wenn beide satt waren, setzte sich der kleine Affe auf einen der untersten Äste über dem Wasser, und Hai liess sich in Kreisen faul durchs Wasser treiben. Dabei erzählten sie sich aus ihrem Leben und plauderten über alltägliche Vorkommnisse.

Eines Tages sagte Hai: „Lieber kleiner Affe, ich würde dir gar zu gerne etwas schenken als Dankeschön für die vielen süßen Früchte. Deshalb habe ich lange überlegt und schlage dir vor, einmal auf meinen Rücken zu klettern und durch die Wellen zu reiten.“

„Puuh, mein Lieber,“ lachte der kleine Affe,  „schon der Gedanke an das Wasser lässt alle meine Haare zu Berge stehen. Ich habe viel zu viel Angst vor dem Wasser. Ich kann nicht schwimmen und würde ertrinken.  Ich bleibe lieber auf meinem Baum, wo ich hingehöre.“

„Du bist ja ein richtiger Angsthase“ antwortete der Hai. „Das kann ich nicht glauben. Es wäre doch ein richtiges Abenteuer für dich. Du könntest deinen Freunden davon berichten. Sicher wärest du der erste Affe, der auf einem Hai reiten durfte. Außerdem, ich würde so schwimmen, dass mein Rücken immer über den Wellen bleibt und du nicht nass wirst. Komm also zu mir ins Meer.“

„Ich muss darüber nachdenken “, meinte der kleine Affe, kletterte hoch in die höchsten Äste der Baumkrone und dachte scharf nach. Was ihr der Hai gesagt hatte, war verlockend, und am nächsten Morgen war sie ganz nervös vor Aufregung.

„Also gut, „ begrüßte der kleine Affe den Hai, „ich bin einverstanden, wenn du ganz langsam schwimmst und ich mich festhalten darf.“

„Glückwunsch zu deinem Mut, kleiner Affe. Ich verspreche, ich werde sehr vorsichtig sein. Es soll dir ja Freude bereiten.“ sagte der Hai. Er schwamm unter die Baumkrone, und mit einigem Herzklopfen sprang der kleine Affe auf den Rücken des Hais und erlebte einen traumhaften Ritt. Knapp über den Wellen glitten sie dahin. Sie flogen fast durch die sanfte Dünung. Doch die Klippe und der Baum wurden immer kleiner. Da bat der kleine Affe: „Bitte schwimm wieder zurück zu meinem Baum, solange man ihn erkennen kann, sonst verirren wir uns noch in dem großen Meer. Die Reise war ganz wunderbar, aber für heute ist es genug.“

Da entgegnete der Hai: „Es tut mir leid, mein Freund. Wir können nicht mehr zurück. Ich muss dir etwas gestehen. Das Volk der Haie braucht dich dringend. Ich wurde geschickt, um dich zu holen. Unser Fürst, der mächtigste und größte aller Haie, ist schwer krank. Unser Nganga weiß nur noch ein Heilmittel, das ihn vor dem Tod retten kann. Unser Fürst muss dringend das Herz eines Affen essen.“

Oje! Das Herz des kleinen Affen schlug immer fester vor Angst. Sollte das sein Ende sein. Er biss die Zähne zusammen, und gab keinen Laut mehr von sich.

„Bist du erschrocken, kleiner Affe, du sagst ja gar nichts“ fragte der Hai.

„Oh ja, lieber Hai, „ entgegnete der kleine Affe, „das hättest du mir gleich sagen sollen. Weißt du denn nicht, dass ich jeden Morgen beim Aufwachen mein Herz aus der Brust nehme, es sorgsam in einem Astloch verstecke und mit Blättern zudecke, damit es keinen Schaden nimmt?“

„Das wusste ich nicht,“ gestand der Hai, „dann war alles umsonst“. 

„Aber Hai,“ rief der kleine Affe und gab sich von seiner fröhlichsten Seite, während er innerlich zitterte. „Nichts ist umsonst. Euer Fürst tut mir sehr leid. Ich möchte ihm helfen und ihm mein Herz schenken. Wir müssen es nur holen. Schwimm zurück, bevor es Nacht wird.“

Der Hai versuchte zu überlegen, aber in seinem Kopf drehte sich alles nur um das eine: „Du darfst nicht ohne das Herz nach Hause kommen.“ So kehrte er um und schwamm mit dem kleinen Affen zurück. Der kleine Affe hielt den Atem an, bis er wieder unter seinem Baum war. Mit einem Jubelschrei sprang er auf den untersten Ast und dann immer höher und höher, bis er in den obersten Ästen verschwunden war.

Der Tigerhai wartete, wartete und wurde immer ungeduldiger. Er rief: „Meerkatze, wie lange dauert es noch? Hast du dein Herz gefunden?“

Statt einer Antwort fielen faule Früchte vom Baum und trafen ihn mitten auf seiner Schnauze. Dabei rief der kleine Affe: „Tschüss, du dummer Fisch! Mein Herz ist hier, mitten in meiner Brust. Dort war es schon immer und soll auch noch eine Weile dort bleiben. Du bekommst es nicht. Such dir einen anderen Affen. Wir sind keine Freunde mehr.“

Der große Baum hallte wider vom Gelächter des kleinen Affen. Er hat diesen aufregenden Tag nie vergessen und eine lange Geschichte daraus gemacht. Immer wieder erzählt er all seinen Freunden und Verwandten, wie er den riesigen Tigerhai hinters Licht geführt hat.