Hungersnot und Zauberflöte
Ein Märchen aus dem Tschad
Eine Hungersnot hatte das Dorf heimgesucht. Alle waren bereits so abgemagert, dass sie sich kaum noch normal auf eine Holzbank setzen konnten.
Eines Tages ging Pelikan nach Paris, um wilde Knollenfrüchte auszugraben; es war eben der Ort, wohin dieses Jahr die Vögel gekommen waren. Allabendlich kam er nun mit den Knollenfrüchten nach Hause, und am nächsten Tag holte er sich wieder welche. Da sieht er eines Tages am Boden vor einem Termitenhaufen eine große Flöte liegen. »Diese Flöte muss von einem Kind vergessen worden sein«, spricht er zu sich.
Er hebt sie auf, und es macht ihm Freude, darauf zu spielen: »tuuu tuuu!« Da fällt eine Hirsebreikugel aus der Flöte zu Boden. Gierig schnappt Pelikan danach und verschlingt sie auf der Stelle, ohne Sauce, ganz geschwind.
Dann spielt er wieder auf der Flöte - »tuuu, tuuu, tuuu!« - und schon fallen drei weitere Hirsebreikugeln zu Boden - bum, bum, bum. Pelikan verspeist sie, trinkt dazu und spricht: »O weh, fast wären wir wegen dieser dummen Hungersnot gestorben!«
Dann beginnt er, abwechselnd den einen und den anderen Fuß vorzustrecken und einmal den einen und dann den anderen Finger auf die Löcher der Flöte zu legen: »tuuu, tuuu, diliu, diliu, diliu!« Da purzeln haufenweise Hirsekugeln aus der Flöte heraus, eine auf die andere. Pelikan sammelt alle ein, steckt sie in einen Sack und geht damit nach Hause.
In seinem Dorf angelangt, geht er sogleich zum Häuptling Kabrau. »Ruf mit der großen Trommel alle Leute zusammen, denn ich habe etwas gefunden, das uns vor der Hungersnot retten kann!« sagt er zum Häuptling. Doch dieser antwortet ihm: »Pelikan, du ermüdest mich. Was hast du denn bei dir?«
Dennoch klettert der Häuptling die große Trommel hoch, doch er fällt vor Schwäche herab. Erst beim zweiten Versuch gelingt es ihm, die Trommel zu erklimmen und zu schlagen, und die Leute aus der ganzen Umgebung kommen zum Versammlungsplatz.
Pelikan hat inzwischen für seine ganze Familie auf der Flöte geblasen, und die Hirsebreikugeln häufen sich in seinem Haus; alle helfen mit, sie aufzuschichten wie die Früchte des Mahagoni-Baumes. Als das Haus des Pelikans voll ist, wird ein zweites angefüllt, dann noch ein drittes.
Schließlich kehrt Pelikan wieder zum Häuptling Kabrau zurück. Sogleich setzt er seinen Mund an die Flöte und bläst: »tuuu, tuuu, tuuu!«
Da fallen viele Hirsekugeln hernieder, und jedermann stürzt sich wild darauf und häuft sie bei sich auf. Jeder sammelt ein soviel er kann und kümmert sich nicht um die Hirse des anderen. Auch der Häuptling legt sich einen Vorrat an.
Als schließlich alle zufrieden sind, wendet sich der Häuptling an den Pelikan: »Geh nun in Frieden, aber pass auf, dass du die Flöte nicht verlierst!« Auf dem Heimweg sprach der Pelikan zur Flöte: »Du wunderbares Ding, solltest du zu dir nach Hause zurückkehren wollen, sag es mir nur, und ich begleite dich heim!«
Zu Hause angelangt, steckte er die Flöte auf die Holzgabel, die den Bettrahmen trägt, legte sich hin und fiel sogleich in einen tiefen Schlaf. Die Flöte aber machte sich auf und ging zurück nach Paris.
Als es tagte, erwachte der Pelikan, doch da war die Flöte bereits verschwunden. Die Menschen versammelten sich draußen vor der Tür, und fragten ihn, wo er sein »Ding« hatte, doch der Pelikan musste gestehen, dass sie nicht mehr in seinem Besitz war; darauf forderte ihn die Leute auf: »Geh doch und such es!«
Beim Häuptling Kabrau brachte man inzwischen sogar die Leprakranken und Blinden an, damit auch sie etwas von dem Hirsebrei abbekommen. Um nur ja nichts zu verlieren, schnitt man sogar die Dachspitzen von den Rundhütten und verwendete sie als Körbe.
Der Pelikan hatte sich wieder nach Paris aufgemacht. Als er vor dem Termitenhaufen etwas Schwarzes liegen sah, rief er aus: »Da ist ja die Flöte! - Hab ich dir nicht gesagt, du sollst nicht ohne mich weglaufen? Trotzdem bist du einfach davongegangen!« Er nahm sie auf und setzte sie an seinen Mund.
Doch als er die ersten Töne blies, schlug etwas heftig gegen seinen Kopf, pan, pan. »He«, schrie da der Pelikan, »kommt das davon, dass ich zu leise geflötet habe?« Und er machte sich daran, mit lauterem Ton zu blasen: »tuuu, tuuu, tuuu.« Doch da setzte es noch mehr Prügel, pan, pan, pan.
»He, was ist denn das? Ich will aber nicht der einzige sein, der geprügelt wird«, sagte sich der Pelikan und blies weiter auf der Flöte: »tuuu, tuuu, tuuu, diliu, diliu, diliu.« Doch je mehr er flötete, desto ärger kamen die Prügel auf ihn hernieder. Da ergriff der Pelikan die Flucht in Richtung Dorf. Er wunderte sich über die Verwandlung, die mit der Flöte vor sich gegangen war.
Unterwegs traf der Pelikan den Hasen. Er sprach zu ihm: »Hase, lauf ein bisschen, damit ich sehe, wie du laufen kannst!« Da lief der Hase derart im Zickzack, dass der Pelikan sich sagte »Auf dem werde ich nicht reiten können, der wird mich abwerfen.«
Als nächstes trifft er die kleine Gazelle und fordert sie auf: »Lauf ein bisschen, damit ich sehe, wie du laufen kannst!« Da läuft die Gazelle los, wirft sich gegen einen Baum und streift entlang eines dornigen Gebüsches. Darauf spricht der Pelikan: »Auch du würdest mich abwerfen, wenn ich auf dir reiten wollte.«
Alsdann trifft der Pelikan die Antilope. »Lauf!« sagt er. Und die Antilope läuft - leicht, graziös und geschwindb. Der Pelikan entschließt sich für sie: »Dich will ich als Reittier nehmen. Komm mit zu mir!«
Als er bei sich zu Hause angekommen war, bemerkte er, dass seine Frau den Hof und die Räume sauber gekehrt hat. »Gut«, sprach er zu sich selbst, »jetzt will ich wieder auf dem Ding blasen.« Doch sobald der erste Ton erklang, schlug der Knüppel auf alle Bewohner des Hauses ein, pan, pan, pan.
Alle schrien auf: »Pelikan, willst du uns alle umbringen? Warum nur? « Der Pelikan sprang auf den Rücken der Antilope und galoppierte zum Häuptling Kabrau. Als er ankam, klatschte die Menge Beifall - tap, tap, tap -: »Dank, Dank dir, o Pelikan!« So riefen ihm sogar die Leprakranken zu.
»Macht Platz, das Pferd, das ihr seht, ist sehr bösartig!« Und in der Menge hallte es wider: »Platz da, das Pferd ist bösartig!« Die Leute wichen zurück und machten dem Reiter Platz. Der Pelikan setzte nun die Flöte an den Mund und blies: tuuu, tuuu, tuu, diliu, diliu, diliu; da prasseln heftige Schläge auf die Leute hernieder, pan, pan, pan.
»Willst du uns denn alle umbringen, Pelikan? Warum denn?« schrien die Leute laut durcheinander. Vlan, vlan, vlan, hagelte es Hiebe auf alle. Der Pelikan machte sich auf seiner Antilope auf und davon; doch da traf ihn ein Schlag ins Genick und er stürzte zu Boden. So geht die Geschichte zu Ende.
Wir bedanken uns bei Hekaya und Guido Adam für das Märchen aus dem Tschad
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